Ein frühsommerlicher Ostersonntag im Jahr 2039.
Ein Gymnasiallehrer a.D. spricht nach dem Mittagsbraten und zwei Weißbieren mit seinem schulpflichtigen Enkel auf der Terrasse.
Eingefangen und aus dem Bairischen übertragen von G.P.
– Opa, stimmt das, was mir der Papa erzählt hat?
– Oje, was denn?
– Na dass du damals iPads in der Schule eingeführt hast.
– Na ja, mehr oder weniger, meine Schüler durften die halt zum erstenmal offiziell im Klassenzimmer benutzen.
– Klassenzimmer? War das so was wie ein Lernbereich?
– So ungefähr. Da saßen damals tatsächlich so um die fünfundzwanzig Kinder alle im gleichen Raum!
– Was? Wie soll man denn da lernen?
– Das war damals noch nicht so üblich, das eigene, entdeckende Lernen in wechselnden Teams. Da gaben wir Lehrer tatsächlich den Rhythmus vor, und alle mussten das lernen, was wir wollten – egal ob es sie gerade interessierte oder nicht. Also eine tolle, entspannte, auch bequeme Zeit für uns Lehrer, auch weil die Kinder einem alles glauben mussten. Es konnte ja keiner schnell checken, ob man nicht Quark erzählt (kichert).
– Wahnsinn.
– Ja, damals war noch nicht alles digital wie heute. So, und jetzt iss dein Osterei. (Lehnt sich gedankenversunken zurück.)
– Hä? Was ist denn „digital“?
– Hm? Also du mit deiner Fragerei. Also schau, unsere Welt hier besteht praktisch nur aus Nullern und Einsern. Alles was wir hören, lesen, anschauen – alles Null und Eins. Analog ist, wenn du – ja, äh – also was mit deinen Fingern machst. Obwohl, nein, also, ohne Hilfsmittel. Oder so: Analog ist, wenn wir hier so dasitzen und ratschen. Oder du dein Osterei abschälst und Salz drüber streust, das ist analog. So ähnlich jedenfalls. Mann Bub, mach mich nicht wahnsinnig mit deiner Fragerei, ich war Fremdsprachenlehrer! Schau doch selber nach. So. (Grummelt).
– Hm.
– (Blinzelt) Jedenfalls waren die meisten Lernmaterialien noch aus Papier!
– Papier? Das kenn ich, von den Burgerverpackungen und den Zetteln, die immer Mamas Tabletten beiliegen. Papier raschelt sehr schön. Und im Kindergarten haben wir damit mal Blumen gebastelt.
– Stell dir vor, die Schüler mussten dann mehrere Kilo Papier jeden Tag in die Schule und mittags wieder nach Hause schleppen!
– Haben sie die dann irgendwie gefahren, geflogen oder gerollt?
– Gerollt war eher die Ausnahme, persönliche Gepäckdrohnen gab es auch noch nicht. Viele wurden auch deshalb von ihren Eltern im eigenen, tonnenschweren Explosionsmotor-Auto bis direkt an den Schulhof gefahren haben – kann man sich heute gar nicht mehr vorstellen, oder?
– Igitt.
– Richtig saublöd bei den Papierbüchern war, dass die ja nicht aktualisiert wurden. Teilweise war der Wissensstand in den Büchern 15 Jahre alt! Und das bei der Geschwindigkeit, in der sich die Ereignisse und Entwicklungen damals schon förmlich überschlugen …
– Ach Opa, das war echt so Dino-mäßig damals. Sogar dein erstes Tablet hast du mir ja schon mal gezeigt, total schwer, fett und unglaublich langsam.
– Aber es konnte WLAN!
– Was ist das denn schon wieder?
– Eine frühe Art Funknetz, aber örtlich gebunden, so im Radius von 10-15 Metern. So absurd das klingt: Anfangs gab es im Kollegium sogar noch Befürchtungen, das könnte gesundheitsschädlich sein! Trotzdem war WLAN schon viel besser als die Computerräume.
– Was soll das denn sein, „Computerräume“?
– Im Prinzip ein muffiger, abgeschlossener Lernraum mit einem PC pro Schüler.
– PC? Personal Coach?
– Nein, Personal Computer, so ein fensterkittgrauer, surrender Standcomputer mit Maus und Tastatur. Ich kann mich noch erinnern, man musste den Raum für bestimmte Stunden reservieren und hat sich geärgert, wenn wieder ein Kollege schneller war. Unterrichtsplanung unter diesen Bedingungen war da echt eine Herausforderung, Spontanität praktisch nicht umzusetzen …
– Ihhhh, musste man dann die Geräte anfassen, die auch andere schon benutzt haben? Mit ihren ungewaschenen Fingern, bei Erkältungswellen vollgerotzt? Brrr …
– Ja, nein, so schlimm war es aber nicht. Schlimmer waren die Passwort-Vergesser in der Klasse.
– Cool, was ist denn ein Passwort?
– Na ja, wenn du an einem fremden Gerät … stell dir vor, da hatte noch nicht jeder sein eigenes … Ach egal, das war halt früher so, wenn du nur Tastatur und Maus hattest, um dem Gerät was mitzuteilen. Statt deinem Fingerabdruck, deinem Gesicht, deiner Watch oder deiner Implantate war eine Buchstabenkombination gewissermaßen deine Zutrittsberechtigung zur Maschine. Komm, vergiss es und iss jetzt dein Ei.
– A propos Tastatur, hat das denn nicht ewig gedauert, bis man die einzelnen Tasten getroffen hat?
– Manche waren da ehrlich gesagt recht geschickt. Es gab sogar Kurse für „Maschinenschreiben“! Im Nachhinein eher Zeitverschwendung, weil die Tastaturen verschwunden sind. Aber was red ich, wenn man wie du nur noch Handschreiben, Diktieren, Touch und implantierte Bewegungskontrolle kennt!
– Opa, hilfst du mir mal mit dem blöden Ei? Im Video hier macht das eine Frau so, dass die Schale in nicht mehr als drei Stücken abgeht …
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