Verfasst von: Gerhard Piezinger | 29. Oktober 2020

Dreh- und Angelpunkt Bildschirmfoto

Das Schimpfen der Lehrer auf Schulbuchverlage ist so alt wie der Buchdruck. Beim Übergang in das digitale Zeitalter wurde die Diskussion noch hitziger: Wie soll ein Lehrwerk und dessen Zusatzmaterialen ausschauen? Inwieweit bleibt das Paradigma des Papierzeitalters („Hier steht, was ihr zu lernen habt“) erhalten? Was wird ergänzt, was ersetzt? Wie kann man Bildungsstandards und Binnendifferenzierung unter einen Hut bringen? Braucht es angesichts der OER überhaupt noch Verlage?

Die Frage nach der Kombinierbarkeit von Lehrbuch, Apps, Webdiensten und eigenen Aufzeichnungen begleitet unser Projekt von Anfang an. Die Erwartung von Eltern an unsere iPad-Klassen war immer auch, dass ihre Kinder morgens nun endlich weniger Bücher in die Schule schleppen müssten. Diese hat sich bislang nur teilweise erfüllt: Außer Cornelsen war in der Anfangszeit keiner der Verlage bereit, die Schulbücher zumindest als statisches PDF zur Verfügung zu stellen. Eifrige Schülerinnen und Schüler haben die Buchseiten immer wieder abfotografiert und somit das Buch zu Hause gelassen, aber eine praktikable Dauerlösung war das sicher nicht.

Eine entscheidende Barriere für die Kombination von Notizblock-App und E-Book war immer auch die beschränkte Bildschirmgröße des iPads. Aus ergonomischen Gründen konnte Heftführung und Schulbuch nicht parallel stattfinden: Entweder Buch aus Papier und handschriftliche Heftführung auf dem Tablet oder umgekehrt.

Das Problem hat sich inzwischen völlig überraschend in Luft aufgelöst. Die Lehrwerke der aktuellen Generation werden alle auch als E-Books angeboten. Das Platzproblem auf den Bildschirmen der iPads lässt sich somit verblüffend einfach lösen: Die Schüler machen ein Bildschirmfoto der Seite, schneiden es zurecht, kopieren es in die Zwischenablage und fügen es in eine Notizbuch-App ein. Dort kann es beliebig weiterbearbeitet werden.

Aus unserer Perspektive hat der Klett-Verlag für die neue Lehrbuch-Generation eine wirklich vernünftige Lösung für Schüler abgeliefert. Das Schleppen von riesigen Schulranzen, der Anblick von kleinen Sherpas um halb acht in der Früh, all das wird langsam verschwinden. Gut so.

Verfasst von: Gerhard Piezinger | 3. August 2020

Über die Wolken

Zum ersten Mal trat das Phänomen in der Mitte der Zweitausender Jahre auf. Es war die Blütezeit der Weblogs, die in der Breite recht schnell den personalisierten Micro-Blogging-Diensten wichen, auch als soziale Netzwerke bekannt. Auf den Weblogs waren die Tag-Clouds der letzte Schrei: Durcheinander gewürfelte Stichwörter, deren Schriftgröße die Verwendungshäufigkeit auf der Seite widerspiegelten.

Im Laufe der Jahre entstand daraus eine regelrechte Kunstform. Wortwolken lassen sich heute im Internet generieren, bei freier Konfiguration von Schriftarten, Farben und Drehwinkel.

Eine der interessanteren Möglichkeiten für den Einsatz im Unterricht ist sicher, dass man ganze Texte als Vorlage vorgeben kann. Algorithmen bereinigen den Text dann von reinen Funktionswörtern (ein, der, und, im, auf etc.), ändern flektierte Formen auf die Grundform (warf -> werfen, Gästen -> Gast), ermitteln die Häufigkeit der Wörter, die sich dann in der Schriftgröße widerspiegelt. Folgende Beispiele wurden mit wordart.com erstellt.

Wordclouds

Denkbare Szenarien im Überricht wären:

  • Eine selbsterstellte Wordcloud als (alleinige?) Basis für ein Schülerreferat
  • Zur Einführung eines neuen (Lektions-)Textes, um die Schüler über den Inhalt spekulieren lassen
  • Zur Einführung einer neuen Unterrichtseinheit, möglicherweise zum Abschätzen des Vorwissens der Schüler
  • Als Arbeitsgrundlage eines Rechercheauftrags
  • Zur individuellen Illustration einer Unterrichtseinheit (Reduktion auf das Wesentliche)
  • Als kreative Aufgabe zur Illustration beliebiger Inhalte

Auch dieses Werkzeug ist wieder mal ein Beispiel dafür, dass digitale Medien weit mehr sind als bloß ein „weiteres Werkzeug“. Nein, sie bieten auch neue Darstellungsformen, die auf Dauer auch die gesellschaftliche Kommunikation, die Ästhetik, die Herangehensweisen an Aufgaben und schließlich sicherlich auch den Unterricht selber verändern werden.

Verfasst von: Gerhard Piezinger | 4. Juli 2020

Teams und mebis: Ergänzen statt ersetzen

Mitte März: Die Schulen werden geschlossen. Ohne Vorwarnung. Digitaler Fernunterricht von heute auf morgen. 1,2 Millionen Schüler/innen und 95.000 Kolleg/innen in 55.000 Klassen in 4.500 bayerischen Schulen wurden mit wenigen Ausnahmen ins kalte Wasser geworfen. Kein Wunder, dass unsere offizielle Lernplattform mebis unter dem Ansturm schon am ersten Tag in die Knie ging und mehrere Wochen nur phasenweise und somit kaum sinnvoll nutzbar war.

Das Kultusministerium gab in dieser schwierigen Situation überraschenderweise unverzüglich die Nutzung von Microsoft 365 (damals Office 365) für staatliche Schulen frei. In den Augen vieler Kollegen ein längst überfälliger Schritt, den die meisten anderen europäischen Länder längst vollzogen hatten.

Natürlich standen viele Lehrer/innen, die eine ernsthafte Integration digitaler Medien in den Präsenzunterricht oder unterrichtsbegleitend bisher jahrelang vor sich her geschoben hatten, jetzt erst einmal vor der Wahl, sich in die eine oder die andere Plattform einzuarbeiten.

Die Funktionalitäten von Teams und mebis überschneiden sich tatsächlich in gewissen Punkten, in vielen anderen aber kann keine der beiden die andere wirklich ersetzen, wenn man im digitalen Unterricht eine möglichst große Auswahl an Methoden und Möglichkeiten nutzen will.

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Unschlagbar ist Teams bei der Kommunikation innerhalb von Lerngruppen, die in Videokonferenzen, Einzel- und Gruppenchats in Echtzeit erfolgen kann. Das liegt im Wesentlichen daran, dass Teams eine App und mebis nur eine Webplattform ist. Teams ist in seiner Funktionalität schon sehr nahe an Messengerdiensten wie WhatsApp und somit unseren Schülern völlig geläufig. mebis, das Kommunikation nur über E-Mail abbilden kann, ist da hoffnungslos unterlegen. Die Integration der Videokonferenz-Software BigBlueButton in mebis, über die es bislang nur vage Gerüchte gibt, wäre natürlich ein gewaltiger Schritt nach vorne.

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Ähnlich ist es mit dem Austeilen, Einsammeln, Korrigieren und Zurückschicken von schriftlichen Arbeitsaufträgen. In Kombination mit OneNote-Kursnotizbüchern erreicht Teams eine Effizienz, die meines Wissens von keiner anderen Plattform geboten wird. Es entfällt jedes Dateihandling, jedes „Abgeben“, „Einsammeln“ oder „Austeilen“, es wird einfach nur gearbeitet.

Ein sehr vielversprechender Ansatz findet sich dazu auch auf mebis (Aktivität „Aufgabe“), die ebenfalls den Umgang mit Dateien überflüssig macht und die handschriftliche Korrektur von PDFs erlaubt. Durch die Beschränkung der Bedienung der Weboberfläche im Browser erreicht diese Funktion allerdings bei Weitem nicht die Eleganz der MS365-Lösung.

Gleichstand in Sachen Funktionalität und Nutzerfreundlichkeit erreichen beide Plattformen bei den zur Verfügung stehenden Kalendern, der Einrichtung und Verwaltung getrennter Gruppen und bei der Nutzung von Foren. Wobei die „Foren“ von Teams eher mit WhatsApp-Gruppen vergleichbar sind, also kaum eine komplexere Struktur zulassen. Da hat mebis mit seiner Webforen-typischen Darstellung die Nase vorn. Der größte Vorteil von mebis ist hier sicherlich, dass sich Beiträge bearbeiten/korrigieren und vom Lehrer löschen lassen.

Bei Teams ist überhaupt die Arbeit im Wesentlichen chronologisch strukturiert. Die Aufgliederung in Kanäle zu bestimmten Einzelthemen ist ein kleiner Ansatz zur Ordnung nach thematischen und inhaltlichen Kriterien, erreicht aber bei Weitem nicht das Niveau eines echten LMS (Learning Management System). Für die Ablage von Dateien gibt es nur die Auswahl zwischen einem Anhang im Chat oder in einem etwas angestaubt wirkenden klassischen Dateisystem mit Verzeichnissen und Unterverzeichnissen, was 2020 sehr enttäuschend ist: Keine Zwischenüberschriften zur Strukturierung, keine Informationen zur Datei außer dem Dateinamen, keine Möglichkeit zur mehrmaligen Verknüpfung  an anderen Stellen.

Der größte Vorteil von mebis ist die Integration von interaktiven Elementen. Wikis, Tests, interaktive Übungen mit H5P, Glossare, Abstimmungen – all diese zentralen Möglichkeiten von digitalem Lernen sind auch durch extensive Verlinkungen auf Angebote im Web nicht zu organisieren. Ein Beispiel für das strukturierte Zusammenspiel all dieser Aktivitäten habe ich bereits an anderer Stelle beschrieben.

 

Natürlich hat so eine Gegenüberstellung etwas von Äpfel und Birnen: Teams hat seine Wurzeln in der Koordinierung von Projekten in großen Unternehmen und Organisationen. mebis ist eine Lernplattform, maßgeschneidert für die Begleitung des Präsenzunterrichts. Reinen Fernunterricht können beide notwendigerweise nicht zu 100 Prozent abdecken. Mein Traum wäre eine vollwertige mebis-App, die auch Systemfunktionen wie Handschriftunterstützung, das Teilen zwischen Apps und die Mitteilungsfunktion nutzen kann.

Die Kernanforderungen – (Echtzeit-)Kommunikation einerseits, Struktur und Interaktivität andererseits, das ist in der aktuellen Situation nur in einer Kombination aus beiden zu erreichen.

Verfasst von: Gerhard Piezinger | 3. März 2020

Maskenball in der Fastenzeit

Rollenspiele aller Art sind immer wieder eine Herausforderung: Wie schafft man Situationen, in denen sich unsere Schülerinnen und Schüler mit ihrer Rolle identifizieren können? Woher kommt Motivation, sich in eine Rolle reinzudenken? Wie kann man etwa bekannte Persönlichkeiten imitieren, ohne vorher Schauspielschule und Kostümverleih besucht zu haben?

Apples dreidimensionale Gesichtserkennung hat vor kurzem die Möglichkeiten im Klassenzimmer enorm erweitert. Die App Mug Life nutzt diese und überträgt den Gesichtsausdruck in Echtzeit auf ein beliebiges zweidimensionales Foto, auf dem ein Gesicht erkennbar ist.

In einem ersten Versuch im Englischunterricht sind unsere Schüler in die Rollen verschiedener historischer Persönlichkeiten geschlüpft und haben kurz deren Leben beschrieben:

 

 

Dabei haben wir sicherlich erst einen Bruchteil der Möglichkeiten genutzt. Wie könnte man etwa sinnvolle Situationen arrangieren, in denen Schüler mit dem Gesicht eines Mitschülers/Lehrers/Freundes sprechen? Könnte man in einem gemeinsamen Kontext ein ganzes Video basteln? Könnte man bei einem Vortrag/Referat oder Erklärvideo live in die Rollen relevanter Personen schlüpfen? Inkognito an Videokonferenzen teilnehmen? Was berichtet Napoleon von den Koalitionskriegen, Cheops vom Pyramidenbau, Fibonacci von seiner Zahlenfolge?

Wir stehen da am Anfang von was ganz Großem.

Verfasst von: Gerhard Piezinger | 13. Dezember 2019

Was war da um neun los?

Fremdsprachliche Lehrbücher setzen schon immer auf Bildbeschreibungen und Bildergeschichten. Anstatt der vorgegebenen, meist ja doch eher – na ja – unspannenden Geschichten aus dem Buch drängt es sich in Zeiten digitaler Universalwerkzeuge förmlich auf, dass unsere Schüler nicht nur die sprachliche Umsetzung, sondern auch die Produktion der Vorlagen übernehmen.

Diese Woche stand eine Zeitform an, die Hintergrundhandlungen zu einem Zeitpunkt in der Vergangenheit beschreibt – noch dazu im Passiv (“The streets were being cleaned” – „wurden gerade saubergemacht“).

Nach einem kurzen Überblick über die grammatikalischen Grundlagen schwärmten die Schüler paarweise aus, um zehn Minuten lang fotografisch zu dokumentieren, was sich im Schulhaus um neun Uhr (angeblich) gerade so abspielte.

Progressive

Der Rest der Stunde wurde damit verbracht, die Bilder der Klassenkameraden zu enträtseln und sprachlich richtig zu beschreiben. Dargestellt sind hier:

At nine o’clock, …

  • toilets were being flushed,
  • the fire alarm was being set off,
  • the floor was being cleaned,
  • a boy was being beaten up and
  • rubbish was being thrown away.

Dieses Prinzip lässt sich sicher erweitern, als weitere Zeitstufen bieten sich die Zukunft mit will, das Present/ Past Perfect (was war die Folge?) oder auch Bedingungssätze an. Oder in höheren Klassen gleich eine Bildfolge als in sich geschlossene Handlung? Und warum eigentlich nicht gleich als Video ..?

Jetzt nur noch den vorbeigehenden Kollegen erklären, was das eigentlich sollte.

Verfasst von: Gerhard Piezinger | 1. Oktober 2019

Classcraft

Das 4K-Modell des Lernens, die veränderte Rolle des Lehrers, der Leitmedienwechsel, selbstgesteuertes Lernen: Alles zentrale Aspekte im derzeitigen digitalen Umbruch des schulischen Lernens. Aspekte und Denkansätze, die überhaupt erst eine Orientierung bei der Frage ermöglichen, wo wir überhaupt hinwollen, wie wir das machen und was wir bereits jetzt davon wie umsetzen.

Im Schatten dieser faszinierenden Leitfragen will ich ein kostenloses Spielchen für die ganze Klasse vorstellen, welches das schulische Lernen so überhaupt gar nicht neu definiert. Classcraft hilft aber bei den täglichen, kleinen und oftmals lästigen Alltagsdingen vor der Klasse: Hausaufgaben-Strichliste, Tafel sauber, Vulgärsprache, Störungen aller Art, Motivation zur Mitarbeit. Das hat alles nichts mit Unterrichtsentwicklung oder Lernen im engeren Sinn zu tun, sondern bezieht sich rein auf die Rahmenbedingungen, die als Voraussetzungen für jegliche gemeinsame Arbeit einfach sichergestellt sein müssen. (Insofern hat es dann natürlich doch etwas mit Lernen zu tun, weil es die Grundlagen dafür schafft.)

Classcraft

Aber von vorne: Classcraft lehnt sich in der grafischen und inhaltlichen Gestaltung an Fantasy-Spiele an, also Rollenauswahl zwischen Krieger, Zauberer und Heiler, individuelle Gestaltung der Spielfigur, Teams innerhalb der Klasse, Gesundheits-, Aktions- und Erfahrungspunkte, Erwerb von „Kräften“, überraschende Ereignisse – bei mir am Stundenanfang – sowie Belohnungen bei speziellen Quests.

Kernaspekt des Spielverlaufs, der sich über das ganze Schuljahr ziehen kann, ist der Punktgewinn und -abzug im Unterrichtsverlauf. Sich einbringen (dreimal in Folge melden, Zusatzmaterial zu Unterrichtsinhalten vorstellen, eigene Ideen entwickeln, interessante Fragen stellen, herausragende Hefteinträge, Kommunikationsverhalten), all dies wird mit Erfahrungspunkten belohnt. Erfahrungspunkte (XP) können auch nicht mehr abgezogen werden und erlauben beim Erreichen einer neuen Stufe zusätzliche Ausrüstung und „Kräfte“.

Bei den üblichen „Vergehen“ (Hausaufgaben vergessen, unangemessene Beiträge oder störendes Verhalten) werden Gesundheitspunkte abgezogen. Schüler innerhalb eines Teams können sich gegenseitig gegen die Maßnahmen des Lehrers schützen, was aber Punkte kostet, die wieder herein gearbeitet werden müssen.

Dazu kommt das Erlernen von bestimmten „Kräften“, die einem gewisse Privilegien sichern können: Fünf Minuten eher in die Pause gehen, eine Woche lang Platz mit einem beliebigen Mitschüler tauschen, einmal Hausaufgaben nicht machen etc. Ob sich die Kraft  „einen Extrapunkt bei einer Stegreifaufgabe“ mit den Leitlinien zur Leistungserhebung in den modernen Fremdsprachen in Einklang bringen lässt, da muss ich noch mal nachschauen.

Witzigerweise lassen sich auch Zugänge für die Eltern anlegen. Diese dürfen ihrem Nachwuchs dann auch für heimische Tätigkeiten (Hilfe bei Garten- oder Hausarbeiten? Zimmer aufräumen? Eine Stunde ohne Spielkonsole?) eine begrenzte Anzahl an Erfahrungspunkten zukommen lassen.

Das Spiel kann übrigens auch völlig außerhalb des Präsenzunterrichts in „analogen“ Klassen gespielt werden. Es reicht, wenn die Schüler die App fürs Smartphone alle paar Tage mal checken.

Natürlich stehen meine Erfahrungen nach zweieinhalb Wochen Einsatz noch am Anfang, die Klasse scheint Classcraft bisher aber recht ernst zu nehmen. Wie bei allen digitalen Werkzeugen und Verfahren gilt: Ich werde den Verlauf des Versuchs recht genau begleiten und schauen, ob es einen konstruktiven Beitrag zum Unterrichtsverlauf leistet.

Und selbst wenn nicht, aber allen Beteiligten einfach nur Spaß macht?

Im Augenblick stehen alle Zeichen auf Weitermachen.

Verfasst von: Gerhard Piezinger | 24. September 2019

Tauscht bitte die Hefte mit eurem Nachbarn

Alle machen eine Aufgabe, der Lehrer geht durch die Reihen, gibt vereinzelt Tipps, dann eine Musterlösung, alle korrigieren (idealerweise in einer anderen Farbe) ihr Ergebnis, fertig. Richtig und falsch, gut und schlecht: Der dicke Mann (/schlanke Frau) hinter dem Pult entscheidet.

Der Ansatz des Peer Assessment setzt hingegen darauf, dass sich Lerner gegenseitig unterstützen – Arbeitsergebnisse austauschen, analysieren und schließlich auch bewerten.

Ein Hefttausch am Ende einer Einzelarbeitsphase bzw. bei der Hausaufgabendurchsicht endet je nach Jahrgangsstufe und dem Grad der geistigen Reife der Schüler auch gern mal in zerknitterten Seiten und Füllerskizzen von Körperteilen oder -produkten, und die Ernsthaftigkeit der Korrekturanstrengungen ist in der Breite kaum abschätzbar.

Die Aktivität „Gegenseitige Beurteilung“ auf unserer bayerischen Lernplattform mebis (Moodle) bildet diese Herangehensweise im gemeinsamen Kursraum ab: Es gibt eine zentrale Aufgabe, die Schüler reichen sie ein, andere korrigieren und bewerten das Ergebnis.

Dazu kommen natürlich Zusatzfunktionen, die man auf Papier wohl nur aufwändig umsetzten könnte:

  • die genaue Definition von Kriterien der Beurteilung
  • die differenzierte numerische Bepunktung von Einzelaspekten und deren Gewichtung
  • die Möglichkeit, mehrere Klassenkameraden unabhängig voneinander drüber schauen zu lassen
  • die zufällige Zuordnung von Beurteilendem und Beurteilten
  • … die vollständige Übersicht für den Lehrer, wie die Korrektur und Bewertung erfolgt sind.

Im Nachgang bewertet ein Algorithmus sogar die Qualität des individuellen Schülerurteils selbst: Je weiter es vom Durchschnitt der anderen bei derselben Einreichung abweicht, desto weniger Punkte gibts. Beide Aspekte werden jetzt zu einer Endpunktzahl verrechnet – also die Bewertung des eigenen Beitrags durch die Mitschüler sowie auch die Treffsicherheit der eigenen Bewertung der Beiträge anderer. 

Gegenseitigbeurteilen

Am Ende steht dabei die Hoffnung, dass die Schüler die an sie gestellten Erwartungen präzise erfassen, ihre eigene Leistung neutral und kriterienorientiert einordnen können und sich letztlich auch am Leistungsstand der anderen orientieren.

Vor allem bei  komplexeren Aufgaben entscheidet schließlich auch in einer digitalen Lernumgebung nicht nur vorprogrammierte Software über die Bewertung von Schülerleistungen, sondern immer auch andere Menschen. Dem Urteil der Mitschüler wird möglicherweise mindestens ebenso viel Bedeutung beigemessen wie dem der Lehrkraft, aber wer weiß das schon …

Verfasst von: Gerhard Piezinger | 6. Juli 2019

OER auf Bairisch

Die aufklärerische Idee der „Open Educational Resources“ (OER) ist bestechend: So wie Wikipedia das Wissen der Welt für alle Menschen der Erde bereitstellt, so könnten freie Schulmaterialien weltweit für mehr Chancengleichheit beim Erwerb von Wissen sorgen. Ziele dieser hehren Idee ist natürlich mehr Gerechtigkeit beim Zugang zu Bildung, somit die Förderung der wirtschaftlichen und kulturellen Entwicklung und schließlich eine bessere Zukunft für Regionen dieser Welt, die nicht über ein so hochentwickeltes Verlagswesen verfügen wie wir. Wobei aber auch hierzulande freie Unterrichtsmaterialien sicher eine nützliche und sinnvolle Erweiterung für die schulische Arbeit darstellen können.

Die derzeit passendste bairische Übersetzung von „Open Educational Resources“ ist „mebis teachSHARE“. Wenn man sich von der merkwürdigen Verteilung von Klein- und Großbuchstaben nicht von einem Klick darauf abschrecken lässt, findet man Mebis-Kurse, die von Kollegen bayernweit zur freien Verwendung bereitgestellt wurden. Natürlich ist unsere Lernplattform nur für bayerische Lehrer und Schüler zugänglich – da hier aber bereits genau auf die Benutzung freier Lizenzen (CC) geachtet wird, steht einer Freigabe über Mebis hinaus in der Zukunft vielleicht nichts mehr entgegen, wer weiß.

Die bestbewerteten Teachshare-Kurse sind derzeit tatsächlich aus dem Fach Französisch: Mit dem Projekt FranzL zeigen ein paar Kollegen aus Niederbayern in beeindruckender Weise, was unter den aktuellen Rahmenbedingungen (Teachshare, Mebis-Aktivitäten, externen Webdiensten und vor allem auch in Verbindung mit H5P) bereits heute möglich ist.

FranzL

Ein Probedurchgang in meinem Q11-Kurs Französisch verlief letzte Woche sehr ermutigend: Die Schüler versanken entspannt und konzentriert in die Welt der französischem Verbformen – durchaus auch in der Oberstufe eine noch sinnvolle Wiederholung!

Dank solcher Initiativen scheint das Thema OER aktuell wirklich an Schwung zu gewinnen. Wenn das mal keine guten Nachrichten sind!

Verfasst von: Gerhard Piezinger | 1. Juni 2019

Wieder ein neues Werkzeug: Quizizz

Nach BookWidgets, Quizlet, Kahoot und Learningapps das nächste Werkzeug in unserem digitalen Lehrerrucksack: Quizizz. Der Webdienst orientiert sich in vieler Hinsicht an Kahoot: URL und Beitrittscode, jeweils vier Antworten zur Auswahl, ständig aktualisierte Bestenliste, die inzwischen fast obligatorische App, Nutzung bereits vorhandener geteilter Fragesets möglich. Ein paar Unterschiede zu Kahoot gibt es aber doch:

  • Die grafische Umsetzung ist weitaus beeindruckender. HTML 5 voll ausgereizt.
  • Biologie, Mathe, Physik, Geografie, Geschichte, Sprachen – für alles schon fertige Sets da. Überwiegend allerdings auf Englisch.
  • Die auf dem Lehrerrechner/Beamer angezeigte Bestenliste umfasst alle Schüler, lässt sich aber mit einem Klick auf besten fünf beschränken.
  • In dem kostenlosen Lehrerkonto sind alle gespielten Sets dauerhaft gespeichert und einsehbar, einschließlich der erreichten Punkte aller Teilnehmer.
  • Schülerinnen und Schüler brauchen kein Nutzerkonto, können also sowohl die Sets des eigenen Lehrers wie auch den gesamten Übungspool von Quizizz benutzen.
  • Die Möglichkeit, sich mit registrierten Schülern (DSGVO?) ein eigenes Klassenzimmer einzurichten, um ihnen Übungen fest zuzuweisen oder gar als Hausaufgabe zu stellen, scheint mir leicht verzichtbar.
  • Laufende Statistiken über die Prozentzahl der richtigen Lösungen der Lerngruppe werden angezeigt.
  • Die Reihenfolge der Fragen in einem Lernset ist für jeden Schüler auf Zufallsbasis verschieden. Also kein Spicken möglich.
  • Großes Plus: Quizizz-Sets können auch von zu Hause aus in einem Singleplayer-Modus gespielt werden.

Quizizz

Wie bei allen dieser Werkzeuge sollte man sich als Lehrkraft natürlich keinesfalls dazu hinreißen lassen, die gezeigten Schülerleistungen zur Notenvergabe zu nutzen: Das Klicken auf richtige Lösungen zeigt sicher keine Sprachkompetenz, schriftlich oder mündlich, die unserem Ziel des Unterrichts entspricht. Ebenso handelt es sich nicht um Spracherwerb im eigentlichen Sinne, denn der wesentliche Aspekt – Kommunikation – fällt hier völlig weg. Wenn man sich diese Aspekte im Hinterkopf behält, hat das Werkzeug in bestimmten Unterrichtsszenarien (Festigung von Grammatik oder Wortschatz, Wiederholung vor Leistungserhebungen) sicher seinen Platz und einem wohldosierten Einsatz von Quizizz steht nichts mehr entgegen.

Verfasst von: Gerhard Piezinger | 24. April 2019

Eine Ostergeschichte 2039

Ein frühsommerlicher Ostersonntag im Jahr 2039.
Ein Gymnasiallehrer a.D. spricht nach dem Mittagsbraten und zwei Weißbieren mit seinem schulpflichtigen Enkel auf der Terrasse.

Eingefangen und aus dem Bairischen übertragen von G.P.

– Opa, stimmt das, was mir der Papa erzählt hat?

– Oje, was denn?

– Na dass du damals iPads in der Schule eingeführt hast.

– Na ja, mehr oder weniger, meine Schüler durften die halt zum erstenmal offiziell im Klassenzimmer benutzen.

– Klassenzimmer? War das so was wie ein Lernbereich?

– So ungefähr. Da saßen damals tatsächlich so um die fünfundzwanzig Kinder alle im gleichen Raum!

– Was? Wie soll man denn da lernen?

– Das war damals noch nicht so üblich, das eigene, entdeckende Lernen in wechselnden Teams. Da gaben wir Lehrer tatsächlich den Rhythmus vor, und alle mussten das lernen, was wir wollten – egal ob es sie gerade interessierte oder nicht. Also eine tolle, entspannte, auch bequeme Zeit für uns Lehrer, auch weil die Kinder einem alles glauben mussten. Es konnte ja keiner schnell checken, ob man nicht Quark erzählt (kichert).

– Wahnsinn.

– Ja, damals war noch nicht alles digital wie heute. So, und jetzt iss dein Osterei. (Lehnt sich gedankenversunken zurück.)

– Hä? Was ist denn „digital“?

– Hm? Also du mit deiner Fragerei. Also schau, unsere Welt hier besteht praktisch nur aus Nullern und Einsern. Alles was wir hören, lesen, anschauen – alles Null und Eins. Analog ist, wenn du – ja, äh – also was mit deinen Fingern machst. Obwohl, nein, also, ohne Hilfsmittel. Oder so: Analog ist, wenn wir hier so dasitzen und ratschen. Oder du dein Osterei abschälst und Salz drüber streust, das ist analog. So ähnlich jedenfalls. Mann Bub, mach mich nicht wahnsinnig mit deiner Fragerei, ich war Fremdsprachenlehrer! Schau doch selber nach. So. (Grummelt).

– Hm.

– (Blinzelt) Jedenfalls waren die meisten Lernmaterialien noch aus Papier!

– Papier? Das kenn ich, von den Burgerverpackungen und den Zetteln, die immer Mamas Tabletten beiliegen. Papier raschelt sehr schön. Und im Kindergarten haben wir damit mal Blumen gebastelt.

– Stell dir vor, die Schüler mussten dann mehrere Kilo Papier jeden Tag in die Schule und mittags wieder nach Hause schleppen!

– Haben sie die dann irgendwie gefahren, geflogen oder gerollt?

– Gerollt war eher die Ausnahme, persönliche Gepäckdrohnen gab es auch noch nicht. Viele wurden auch deshalb von ihren Eltern im eigenen, tonnenschweren Explosionsmotor-Auto bis direkt an den Schulhof gefahren haben – kann man sich heute gar nicht mehr vorstellen, oder?

Igitt.

– Richtig saublöd bei den Papierbüchern war, dass die ja nicht aktualisiert wurden. Teilweise war der Wissensstand in den Büchern 15 Jahre alt! Und das bei der Geschwindigkeit, in der sich die Ereignisse und Entwicklungen damals schon förmlich überschlugen …

– Ach Opa, das war echt so Dino-mäßig damals. Sogar dein erstes Tablet hast du mir ja schon mal gezeigt, total schwer, fett und unglaublich langsam.

– Aber es konnte WLAN!

– Was ist das denn schon wieder?

– Eine frühe Art Funknetz, aber örtlich gebunden, so im Radius von 10-15 Metern. So absurd das klingt: Anfangs gab es im Kollegium sogar noch Befürchtungen, das könnte gesundheitsschädlich sein! Trotzdem war WLAN schon viel besser als die Computerräume.

– Was soll das denn sein, „Computerräume“?

– Im Prinzip ein muffiger, abgeschlossener Lernraum mit einem PC pro Schüler.

– PC? Personal Coach?

– Nein, Personal Computer, so ein fensterkittgrauer, surrender Standcomputer mit Maus und Tastatur. Ich kann mich noch erinnern, man musste den Raum für bestimmte Stunden reservieren und hat sich geärgert, wenn wieder ein Kollege schneller war. Unterrichtsplanung unter diesen Bedingungen war da echt eine Herausforderung, Spontanität praktisch nicht umzusetzen …

– Ihhhh, musste man dann die Geräte anfassen, die auch andere schon benutzt haben? Mit ihren ungewaschenen Fingern, bei Erkältungswellen vollgerotzt? Brrr …

– Ja, nein, so schlimm war es aber nicht. Schlimmer waren die Passwort-Vergesser in der Klasse.

– Cool, was ist denn ein Passwort?

– Na ja, wenn du an einem fremden Gerät … stell dir vor, da hatte noch nicht jeder sein eigenes … Ach egal, das war halt früher so, wenn du nur Tastatur und Maus hattest, um dem Gerät was mitzuteilen. Statt deinem Fingerabdruck, deinem Gesicht, deiner Watch oder deiner Implantate war eine Buchstabenkombination gewissermaßen deine Zutrittsberechtigung zur Maschine. Komm, vergiss es und iss jetzt dein Ei.

– A propos Tastatur, hat das denn nicht ewig gedauert, bis man die einzelnen Tasten getroffen hat?

– Manche waren da ehrlich gesagt recht geschickt. Es gab sogar Kurse für „Maschinenschreiben“! Im Nachhinein eher Zeitverschwendung, weil die Tastaturen verschwunden sind. Aber was red ich, wenn man wie du nur noch Handschreiben, Diktieren, Touch und implantierte Bewegungskontrolle kennt!

– Opa, hilfst du mir mal mit dem blöden Ei? Im Video hier macht das eine Frau so, dass die Schale in nicht mehr als drei Stücken abgeht …

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