Im Zuge der Entwicklung der mobilen Digitalgeräte hin zu Universalwerkzeugen (Fotoapparat, Musikplayer, Telefon, Diktiergerät, Lexikon, Landkarte, Fernseher, Stimmgerät, Taschenlampe, Schminkspiegel, Wasserwaage, Kochbuch, … – was Honegger als „digitale Konversion“ bezeichnet) war es nur eine Frage der Zeit, bis auch das Sprachenlernen per App angeboten wird.
Bei Sprach-Selbstlernkursen hat man inzwischen eine breite Palette an Angeboten: Neben Duolingo, Busuu, Memrise, Mondly, Rosetta Stone, uTalk und einigen anderen hat sich vor allem Babbel einen Namen gemacht.
Auch wenn auf den ersten Blick das autonome, lehrerunabhängige Lernen nicht nicht direkt im Fokus unserer Tabletklasse steht, gibt es doch Ansätze, von denen wir in unserem Unterricht profitieren können.
Mit diesem Hintergedanken im Kopf nutze ich seit mehreren Wochen einigermaßen regelmäßig (Zugpendler!) Babbel, um meine rudimentären Russischkenntnisse aufzufrischen und zu erweitern. Auch wenn man Babbel vielleicht sogar als Konkurrenz für traditionelle Sprachenlehrer betrachten könnte, muss ich zugeben, dass die Herangehensweise wirklich ihren Reiz hat.
- Neue Wörter werden am Anfang einer Lektion in kleinen Portionen in Schrift, Bild, Ton und Übersetzung präsentiert. Manchmal kommt auch eine Überprüfung der Aussprache: Man spricht ins Mikro, und erst wenn der Algorithmus mit dem Ergebnis zufrieden ist, kann man weitermachen. Ganz schön streng, unsere App.
- Zur Wiederholung und Einübung kommen dann kleine Sequenzen zum Einsatz, wie wir sie auch in der Schule benutzen: Zuordnungsübungen der Elemente Wort, Ton und Übersetzung, Auswahlübungen, Wort- und Satzteile in die richtige Reihenfolge bringen und schließlich Diktat, oft unterstützt durch eine begrenzte Auswahl an Buchstaben. Auf alle Aktionen gibt es dabei unmittelbares Feedback, was mir gerade beim Neuerwerb unbedingt notwendig scheint. Sehr gut.
- Die integrierte Vokabelsammlung passt sich automatisch dem Stand des Lernfortschritts im Anfängerkurs an und erlaubt das Lernen nach dem Vokabelkasten/Phase-6-Prinzip: Was nicht gewusst wurde, wird öfter abgefragt. Sehr gut.
- Die Grammatikkapitel beschränken sich nicht auf bloße Übersichten, sondern müssen ebenfalls immer wieder interaktiv ergänzt werden – siehe Bildschirmfoto „Was? Wo?“. Ein kleines Detail, das den Nutzer zumindest zum Mitdenken anregt. Ebenfalls sehr gut.
Der Ablauf weicht aber in vieler Hinsicht von einem klassischen Schulbuch ab. Es gibt keine zentralen Lektionstexte oder Lehrbuchfiguren, die einen begleiten, und die Beispiele sind weitgehend kontextfrei. Das mag daran liegen, dass man sich ja nicht wie im Klassenrahmen mit Anderen gemeinsam die Sprache erarbeitet, indem man über die Inhalte kommuniziert. Vielleicht aber auch an der deutlich älteren Zielgruppe, wer weiß.
Und genau in diesem Punkt liegt der große Unterschied zur Situation an der Schule: Die Nutzer der App wollen bewusst eine Sprache lernen, unsere Schüler müssen leider meist dazu gezwungen werden. Regelmäßiges Hören, Wiederholen und Anwenden sind der Schlüssel jeden Spracherwerbs.
Der Aspekt des „sanktionsfreien Lernens“ ist mit Sicherheit auch für unseren Unterricht relevant: Schüler stehen – individuell natürlich unterschiedlich – im Klassenzimmer vor dem Lehrer und den Mitschülern immer unter einem gewissen Druck, Fehler zu vermeiden – man könnte sich ja blamieren. Das häufig noch wenig gefestigte Selbstbild und die so wichtige Rollenfindung in der Gruppe der Gleichaltrigen ist also für das Sprachenlernen ein gewaltiges Hindernis, denn Spracherwerb ist ohne das Zulassen und die Korrektur von Fehlern völlig undenkbar. Erst durch Fehler lernt man überhaupt. Vielleicht bietet der maschinelle Ansatz von Babbel & Co, den wir ohnehin bereits durch andere Bausteine wie learninapps.org oder Bookwidgets verfolgen, einen Ausweg aus der bisherigen, eher frustrierenden schulischen „Fehlerkultur“.
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